Spotten oder sich wundern?

Eine Predigt zu Pfingsten 2020

Schön, dass ihr da seid! Ihr hier im Garten und auch ihr in den Wohnzimmern, die über Zoom dabei sind.

Es ist schon erstaunlich. Vor drei Monaten hätte diese Begrüßung überhaupt keinen Sinn ergeben, die meisten von uns wussten vor drei Monaten nicht mal was Zoom sein sollte. Und Gottesdienste mit Abstand und Mundschutzen konnte sich auch keiner vorstellen.

Jetzt machen wir das zum dritten Mal so, und es ist fast schon normal. Schon verrückt, wie schnell ich mich an die riesigen Veränderungen gewöhne. Aber manchmal trete ich einen Schritt zurück und staune.

Ich staune über diese Gemeinde, und wie ich den Heiligen Geist in den letzten drei Monaten unter uns habe wehen sehen dürfen. Ich staune über die Kreativität, mit der wir unsere Gottesdienste auf Zoom umgestellt haben. Und ich staune über die Lernfähigkeit, mit der ihr die technischen Hürden gemeistert habt. Ich staune über die Gelassenheit mit der ihr der Pandemie begegnet. Und ich staune über die Verbundenheit, die ich trotz Abstand und trotz der kurzen Zeit, die ich erst in Regensburg bin, mit euch spüre.

All das bringt mich zum Staunen, und zum Nachdenken. Denn Staunen ist nicht selbstverständlich. Aber wenn wir Staunen, kann uns das in den Glauben führen.

In Apostelgeschichte 2 passiert etwas höchst Erstaunliches. Ihr kennt die Geschichte wahrscheinlich, aber ich fasse zusammen: Die Jüngerinnen und Jünger sind zusammen, Jesus ist in den Himmel aufgefahren und hat gesagt sie sollen auf den Heiligen Geist warten. Das tun sie, auch wenn sie etwas verwirrt sind, was genau Jesus eigentlich meinte. Plötzlich kommt ein Brausen vom Himmel, Flammen auf ihren Köpfen und sie fangen an, in verschiedenen Sprachen Gott zu loben. Leute aus der Nachbarschaft und Touristen kriegen das auch mit. Sie wundern sich, warum sie alle in ihrer eigenen Sprache diese Leute verstehen, obwohl es doch einfache Fischer aus dem galiläischen Hinterland sind!

Am Ende lesen wir: „Alle waren außer sich vor Staunen. „Was hat das zu bedeuten?“ fragten sie einander, aber keiner hatte eine Erklärung dafür. Wieder andere spotteten: »Die sind betrunken!«“

Ist das nicht erstaunlich?

Da passiert etwas Unglaubliches, völlig außerhalb der Erfahrungswelt der Menschen. Und trotzdem sind gleich wieder welche da, die eine verlockend einfache und praktische Erklärung parat haben. Ehrlich gesagt finde ich das fast erstaunlicher als das Pfingstwunder: diese Fähigkeit, sich allem, das nicht ins eigene Weltbild passt, so perfekt zu verschließen, und in Windeseile eine Erklärung zu finden, warum ich doch recht habe und auch schon immer recht gehabt habe, ist fast so was wie eine Superkraft. Eine ziemlich deprimierende Superkraft. Aber auch erstaunlich.

Diese deprimierende Superkraft, die Unfähigkeit das eigene Weltbild durch neue Ereignisse infrage stellen zu lassen, gehört wesentlich zu uns. Der Mensch ist als Resultat der Sünde wie Martin Luther sagte: in-sich-selbst-verkrümmt. Man könnte auch sagen, er betreibt Nabelschau, er ist ein geschlossenes System, luftdicht.

Diese Perspektive ist wichtig, denn sie erinnert uns daran, dass Glaube eben nichts menschengemachtes ist, Glaube ist immer ein Geschenk Gottes. Und es ist noch erstaunlicher, dass Gottes Geist doch zu den Menschen durchdringt.

Gleichzeitig merken wir auch, was für einen Unterschied das Staunen macht. Die Staunenden sind offen für Gottes Wort, dass all unsere Versuche, die Welt zu erklären, übersteigt.

Aber was ist eigentlich Staunen?

Manchmal kommt das Staunen über uns, besonders im Angesicht gewaltiger Naturphänomene, wie dem Grand Canyon oder der Zugspitze. Vielleicht war es am ersten Pfingstfest ähnlich.

Aber Staunen kann auch eine Haltung sein, in der wir uns üben können. Und darum geht es heute. Denn Staunen gehört wesentlich zum Glauben dazu. Es ist quasi die Superkraft des Glaubens, oder eine der Superkräfte zusammen mit den anderen Gaben des Heiligen Geistes. Also, was ist eigentlich Staunen?

Hier mal eine vorläufige Arbeitsdefinition: Wir staunen, wenn wir erstens merken, dass wir etwas nicht verstehen, und uns zweitens darüber freuen.

Zum Staunen gehört also, nicht nur etwas nicht zu verstehen, sondern auch zu bemerken, dass wir es nicht verstehen. Und sich über dieses Unverständnis zu freuen. Auf beide Punkten kommt es an.

Oft merken wir nicht, dass wir etwas nicht verstehen. Wir hören gar nicht genau hin, sind aber Experten. Normalerweise ist das eher anstrengend, zurzeit ist es teilweise lebensgefährlich. Ihr kennt bestimmt solche Menschen. Wenn ich ehrlich bin, sehe ich einen fast jeden Tag im Spiegel.

Wie kann ich also merken, dass ich etwas nicht verstehe?­

Zu bemerken, dass ich etwas nicht verstehe, setzt voraus, dass ich nicht alles für selbstverständlich halte. Erst wenn ich innehalte und wie die Staunenden an Pfingsten frage „Was hat das zu bedeuten?“ mache ich den ersten Schritt zum echten Verstehen.

Der zweite Schritt des Staunens ist, sich über sein Nicht-Verstehen zu freuen. Dieser Schritt fällt mir noch schwerer als der erste. Viel eher schäme ich mich, etwas nicht zu wissen. Um die Scham zu verdecken, ärgere ich mich vielleicht, oder bestehe darauf doch recht zu haben.

Gleichzeitig ist es auch kinderleicht. Gestern redete ich mit Helena. Sie löcherte mich wieder und wieder mit Fragen. Für sie ist nichts selbstverständlich, alles bringt sie zum Staunen. Kindern fällt es nicht schwer zu staunen. Aber irgendwann verlernen wir das Staunen, und tun so als wüssten wir alles.

Interessanterweise berichten Forscher, die sich ihr Leben lang intensiv mit etwas beschäftigen, wie sie immer wieder neu ins Staunen geraten. Und die Mystiker sagen, ein langer Glaubensweg führt weniger zu Antworten sondern immer tiefer ins Staunen.

Hartmut, du bist auch jemand der es nicht verlernt hat, zu staunen. Oder vielleicht hast du es wiederentdeckt? Du hast mir erzählt, wie dich schon lange Zeit immer irgendetwas am Glauben fasziniert hat. Du hast dich mit dem Glauben beschäftigt, aber irgendwie war der Blick immer eher kritisch, die Frage war eher „kann es sein? Ist das möglich?“  und nicht „Was hat das zu bedeuten?“ Aber irgendwann kam dann der Durchbruch vom Zweifel zum Staunen. Und seitdem bist du aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen!

Ich freue mich, dass du Teil dieser Gemeinde sein willst und dich heute taufen lässt. Und ich hoffe, dein Staunen über Gottes Größe und Güte wird auch uns, die wir uns manchmal schon an Gottes Liebe gewöhnt haben, neu mit Begeisterung anstecken.

Amen.